Agone - Fantasy aus Frankreich

  • Agone

    Fantasy-Rollenspiel aus Frankreich

    Englischsprachige Ausgabe

    Paris, 2001


    Dieses faszinierende Rollenspiel ist ein gutes Beispiel dafür, dass eine arg limitierte Sprachenlandschaft den Zugang zu sehr viel guten Ideen versperrt oder zumindest schwierig gestaltet. Agone beruht auf Fantasy-Romanen von Mathieu Gaborit, die meines Wissens bislang nicht ins Deutsche übersetzt wurden.


    Die Welt Harmundia, die Welt der »Zwielichtreiche«, wurde einst von den »Musen« erschaffen. Darin liegt die ursprüngliche Quelle der Magie in Harmundia begründet, denn die »Magischen Künste« heißen nicht umsonst so, sondern beruhen auf den von den Musen verkörperten weltlichen Künsten. Im Laufe der Zeit wurde den Musen der Einfluss auf Harmundia von einem Gegenspieler streitig gemacht, der »Maske«. Durch Einflüsterungen der Maske wurde Nyx, die Nacht, zu einem dunklen Gegenspieler des Lichtes, »Darken«, verformt, und die Finsternis als Darkens Macht in die Welt getragen. Diurn, der Tag, hingegen nahm in der Verkörperung als »Janus« den Kampf gegen Maske und Darken auf.


    Die Menschen Harmundias waren ein bevorzugtes Ziel Maskes, der hoffte, sie zu seinen Handlangern machen zu können. Als Maßnahme dagegen erzeugten die Musen die »Flammen« und erfüllten erst die Menschheit damit, ehe die Flammen später auch auf die übrigen Völker Harmundias übersprangen, »Jahreszeitlinge« genannt, wurden sie doch von den »Damen der Jahreszeiten« erschaffen.


    Zu Anfang waren alle Menschen »inspiriert«, also von einer Flamme der Musen erfüllt, und es begann das Zeitalter der »Extravaganz« (Flamboyance); aber durch Maskes und Darkens Machenschaften brach die »Eklipse« über die Welt herein und begann das, was man die Geschichte der sterblichen Welt nennen kann. Heute sind die meisten Menschen und Jahreszeitlinge so genannte »Dullen«, »Glanzlose«, in denen keine Flamme mehr brennt. In der Jetztzeit des Rollenspiels sind gerade noch tausendundeine Flamme aktiv, aber jeder Spielercharakter ist von einer solchen erfüllt und somit ein »Inspirierter«, also mit einer besonderen Berufung versehen, das Licht einer sich verdunkelnden Welt zu bewahren. Jeder »Inspirierte« verfügt über besondere Gaben, die ihm seine Flamme verleiht.


    Die Charaktere treten ins Spiel ein, nachdem sie schon eine bedeutsame Karriere hinter sich haben, was sie neben der Gabe ihrer Flamme gegenüber der Masse normaler Bewohner der Spielwelt heraushebt. Da die Intrigen der dunklen Mächte eine große Rolle für sie haben, besteht für sie auch die Gefahr einer persönliche Verdunkelung, einer Befleckung ihrer Seele in Form von »Sorrows« oder »Kümmernissen«, die den Einfluss von Darkens Finsternis und Maskes Perfidie verkörpern.


    Die Magieformen der Inspirierten sind einmal die Magischen Künste der Musen, zum zweiten die Zauberkunst der »Aszendenz«, mit deren Hilfe kleine Zauberwesen, die »Tänzer«, beschworen werden, um die gewünschten magischen Absichten zu verwirklichen. Grundlage jedes der Magiesysteme ist eine Liste von Zaubersprüchen, aber später kann man durch Erhöhung des Schwierigkeitsgrades erweiterte Anwendungen improvisieren. Ein drittes Magiesystem, die Beschwörung von Dämonen, lockt die Inspirierten ebenfalls, aber sie müssen dann zugleich erkennen, welcher Preis dafür zu entrichten ist.


    Neben Menschen stehen den Spielern neun Völker von »Jahreszeitlingen« zur Verfügung. Die Jahreszeit »Herbst« wurde von Maske korrumpiert und ist eine dunkle Zeit. Die spielbaren Jahreszeitvölker sind:


    Frühling: Sprites, Spriggan, Satyrn

    Sommer: Oger, Minotauren, Riesen

    Winter: Black Fey, Zwerge, Medusen


    Nach der Spezies werden Herkunft und Beruf eines Charakters bestimmt, dann die Vor- und Nachteile, dann die Flamme und ihre drei Aspekte (Körper, Geist, Seele), ein von der Flamme abhängiger »Schicksalswert« (Fortune im ursprünglichen Wortsinn, nicht als Geldvermögen), Dunkelheit und Perfidie (zu Spielbeginn nur durch Nachteile), Attribute, Fertigkeiten, Zaubersprüche und Opera (sing. Opus) (magische Werke).


    Das Spielsystem erfindet das Rad nicht neu und bewegt sich zwischen griffig und komplex; außerdem wird der englische Text dieses von Hause aus französischen Regelwerks hier und da nur durch die Beispiele ganz verständlich. Im Wesentlichen wird in Würfelsituationen zu einem Basiswert (zumeist eine Summe aus Attribut und Fertigkeit) ein W10 gewürfelt. Bei einem »geschlossenen Wurf« nimmt man die Zahl auf dem W10, wie sie ist, addiert sie zum Basiswert und vergleicht mit der zu erreichenden Schwierigkeit. Bei einem »offenen Wurf« explodiert der W10 bei einer 10 und wird weitergewürfelt und addiert, bis etwas anderes als 10 fällt. Bei einer 1 implodiert der W10 und es wird weitergewürfelt, bis etwas anderes als eine 1 oder 10 fällt (glaube ich zumindest), und diese weiteren Ergebnisse werden von der 1 abgezogen, sodass der Wurf ins Minus rasselt, die Agone-Version eines Patzers.


    Das Regelbuch enthält außerdem eine Übersicht über die Welt Harmundia und ihre diversen Länder. Ein ganzes Kapitel ist den dunklen Einflüssen Maske und Darkens und den »Gefallenen« gewidmet, den der Finsternis verfallenden Herbstzeitlingen: Draaken, Morganas und Pixies.


    Allein unter dem Gesichtspunkt Atmosphäre und mythologische Faszination ist Agone ein außergewöhnliches Werk. Meines Wissens wird das Spiel heute nicht mehr hergestellt, aber wer noch Exemplare des Grundregelwerks und eines weiteren halben Dutzends Bände, die eine englische Version bekamen, antiquarisch erwirbt, wird dies als Fantasy-Fan im Leben nicht bereuen. Auf Französisch liegen über dreißig Bände vor.


    Der Spielleiter trägt auch in der englischen Ausgabe den stimmungsvollen französischen Titel »Eminence Grise« (graue Eminenz).


    Ergänzungsbände erweitern die Spieloptionen z. B. um ein Domänen-System, bei dem die Spielercharaktere die Verwaltung einer Baronie oder eines Handelshauses oder von sonst was übernehmen. Ein Konzept, das mit diesem Spiel in Frankreich also schon viel eher bekannt war als in der Welt der englisch-amerikanischen Rollenspiele, wo vergleichbare Systeme erst Jahre später in »Reign« oder im »Song of Ice and Fire Roleplaying« verwendet wurden. Soweit ich weiß. Je mehr obskure Rollenspiele aus diversen Ländern man kennen lernt, desto weniger kann man genau sagen, wer welches Konzept als Erster entwickelte. Agone deutet jedoch darauf hin, dass die englischsprachige Rollenspielwelt nicht unbedingt immer der Ideen-Vorreiter ist, vorsichtig ausgedrückt.